Gedanken zum EASD & zu Diabetes-Events: Lasst uns lauter sein!

EASD 2017 Lissabon

Es ist nun schon eine Weile her, dass ich am EASD in Lissabon teilgenommen habe. Ich hatte euch bereits davon berichtet, dass Roche mich dorthin eingeladen hatte. Nur meine Gedanken zu der Veranstaltung selbst hatte ich irgendwie nie verschriftlicht und veröffentlicht.

Nun schreibe ich diesen Text Monate später, während ich auf dem Weg zu einer ganz anderen Diabetes-Konferenz bin. Ich sitze im Flieger nach Abu Dhabi zum World Diabetes Congress. Der Anstoß für diesen Artikel kommt jetzt, da ich mir gerade das Programm für den Kongress angeschaut habe und absolut überrascht bin. Dort gibt es einen ganzen Themenbereich rund um „Living with Diabetes“ – also Themen aus der realen Welt des Alltags von Menschen, die tatsächlich mit Diabetes leben!

Das mag nun vielleicht selbstverständlich klingen – worum soll es auf solchen Konferenzen schließlich sonst gehen?

Tatsache ist aber, dass Menschen wie ihr und ich – Menschen mit Diabetes – ganz einfach nicht Zielgruppe dieser Kongresse sind. Dies ist für mich zunächst natürlich ein etwas befremdlicher Gedanke. Schließlich geht es doch um Diabetes und den haben wir nun mal. Statt dessen sind diese Konferenzen aber an das Fachpublikum gerichtet: Mediziner, Wissenschaftler, Forscher, Industrie, Fachpresse. So auch beim EASD. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die European Association for the Study of Diabetes, die einmal im Jahr zu einem Kongress einlädt. Dort werden vor etwa 15.000 Teilnehmern aktuelle Forschungsergebnisse und auch Produktneuheiten aus dem Bereich Diabetes vorgestellt. Verständlich, dass dies nicht auf Ottonormalverbraucher wie mich ausgerichtet ist.

EASD

Unsere Perspektive muss vertreten sein!

Dennoch finde ich es umso wichtiger, dass mit uns Bloggern auch Patientenvertreter anwesend sind. Nur so sind die Stimmen derer präsent, die zwar nicht Zielgruppe der Veranstaltung aber IMMER Zielgruppe der Forschung und Therapien sind, um die es dort geht. Ich finde es unglaublich wichtig, dass die Patienten niemals außen vor gelassen werden, wenn es um den Diabetes geht. Kurz zusammengefasst: Nothing about us without us!

Deshalb bin ich wirklich dankbar, dass Firmen wie Roche es uns ermöglichen, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. Verständlicherweise gibt es in der Diabetes Community immer wieder kritische Stimmen, wenn Pharmakonzerne Geld in die Hand nehmen und Blogger zu Veranstaltungen einladen. Denn natürlich ist dies auch ein strategischer Schritt eines profitorientierten Konzerns.

Doch ohne eine solche Unterstützung wäre unsere Teilnahme an Kongressen wie dem EASD kaum möglich. Zwar ist die Registrierung zum Kongress als Mitglied der Presse (dazu gehören auch Blogs) in der Regel kostenlos. Doch die Reisekosten sind oft sehr hoch und nur die wenigsten von uns wären in der Lage, diese selbst zu tragen. Die Konsequenz wären deutlich weniger Patientenvertreter auf diesen Veranstaltungen. Meiner Meinung nach hat aber jede einzelne Stimme ein Gewicht. Jeder einzelne von uns, der hier präsent ist und die Perspektive der Menschen mit Diabetes vertritt, ist wichtig. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass mehr und mehr Firmen dies ähnlich sehen und uns dabei unterstützen. Aus welchen Gründen auch immer.

Doch bei all der Dankbarkeit möchte ich auch noch einmal deutlich machen, dass ich selbstverständlich immer meine eigene, persönliche Meinung mit euch teile. Meine Berichte sind in keiner Weise davon beeinflusst, wer meinen Flug bezahlt hat oder wie schön das Hotelzimmer ist. Ich sehe mich als Patientenvertreterin und fühle mich verpflichtet, euch meine ehrlichen Eindrücke zu schildern – ob positiv oder negativ. Dies halte ich für selbstverständlich und indiskutabel.

EASD

Wir sind Experten – auf unserem Gebiet!

Nun zum Programm auf dem EASD. Dieses ist zwar wirklich sehr interessant, aber eben doch extrem fachspezifisch. Ich glaube, ich bin nicht die einzige, die beim Blick auf die Programm-Titel mit der Stirn runzelt und nur die Hälfte versteht. Die Titel sind teilweise schon echt abgefahren: Wie wäre es mit „Effects on the incidence of cardiovascular events of the add-on of pioglitazone as compared with a sulfonylurea in type 2 diabetic patients inadequately controlled with metformin: the TOSCA.IT study“ oder „Role of alirocumab in lipid management of individuals with  type 1 and  type 2 diabetes at high CV risk: ODYSSEY DM program“. Uff!

Hier muss man sich ganz einfach eingestehen, dass wir zwar die Experten im Leben mit Diabetes sind, aber eben doch meist nicht über das medizinische und wissenschaftliche Fachwissen verfügen, um allen Sessions inhaltlich folgen zu können. Aber das ist vollkommen in Ordnung! Schließlich ist Diabetes für die meisten von uns nicht der Hauptberuf. Niemand erwartet von uns, dass wir jedes einzelne Detail verstehen.

Aber eines ist mir wichtig: Wir müssen es versuchen! Wir müssen dran bleiben! Wir dürfen uns nicht von komplizierten Titeln entmutigen lassen! Wir müssen die so, so wertvolle Chance nutzen, die uns mit der Teilnahme an diesen Veranstaltungen gegeben wurde, und aktiv präsent sein!

Die Kraft der Community nutzen!

Die geballte Power der Diabetes Community war deutlich zu spüren, als wir uns wie bereits im Vorjahr am Rande des EASD zum docday versammelten. Hier trafen sich rund 50 Blogger, Patientenvertreter und Aktivisten, die größtenteils selbst Diabetes haben, und berichteten von ihren Kampagnen, Projekten und Initiativen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie inspirierend es war, mit all diesen Menschen in einem Raum zu sitzen! Doch obwohl die Veranstaltung für alle offen war, waren wir letztlich in unserer eigenen Patienten-Blase gefangen. Draußen auf dem Kongress waren die Mediziner, Forscher, Pharmakonzerne. Und drinnen waren wir: Menschen mit Diabetes, die motiviert sind, etwas bewegen wollen, aber doch irgendwie isoliert sind.

EASD docday

EASD docday

Deshalb: Lasst uns die Energie und Inspiration, die wir aus der Community und aus Treffen wie dem docday gewinnen, mit auf die Kongresse nehmen und sie dort aktiver, präsenter, lauter einsetzen! Nur wenn wir aktiv an diesen Veranstaltungen teilnehmen, können wir die Perspektive von Patienten wirklich angemessen vertreten. Dann können wir deutlich machen, wenn uns etwas nicht passt. Wenn das Programm weltfremd ist. Wenn Menschen mit Diabetes auf diskriminierende Art und Weise dargestellt werden.

Ich fasse mir hier ganz ausdrücklich auch selbst an die Nase. Während des gesamten EASD in Lissabon gab es nur eine einzige Session zum Thema Diabetes und Psychologie. Auf diese hatte ich mich sehr gefreut und dementsprechend hoch waren meine Erwartungen. Schließlich hatte ich auf der Konferenz bis dahin kaum etwas über das tatsächliche, das alltägliche Leben von Menschen mit Diabetes gehört. Doch meine Erwartungen hätten nicht mehr enttäuscht werden können. Unter den Rednern zu diesem Thema waren weder Psychologen, noch Menschen mit Diabetes. Die Diskussionen hatten nichts mit der tatsächlichen Lebensrealität von Menschen mit Diabetes zu tun. Ich war wirklich schockiert.

Und doch bin ich still auf meinem Platz in den hinteren Reihen sitzen geblieben. Wer bin ich schon, dass ich eine wissenschaftliche Session auf einem gigantischen Kongress unterbreche und Fragen stelle oder gar Kritik übe? Hier seht ihr meine Zwickmühle: Ich finde, dass wir unbedingt auf diesen Veranstaltungen sein müssen. Aber wenn ich vor Ort bin, fühle ich mich doch wie ein Fremdkörper oder gar wie ein Spion. Die Veranstaltung ist nicht für mich gedacht. Ich kann froh sein, überhaupt dort geduldet zu sein und ich traue mich kaum, meinen Senf dazu zu geben. Doch genau deshalb sind wir doch da! Vorgemacht hat es Bloggerkollegin Renza aus Australien, die in eben jener Session aus der ersten Reihe einen Tweet nach dem anderen abfeuerte und lautstark Frage um Frage stellte und die Redner so durchaus zum Stottern und sicherlich auch zum Nachdenken brachte.

Ich denke, hier können wir als deutsche Diabetes Community noch besser werden. Mutiger, kritischer, lauter. Und so sitze ich nun wie ein kleiner Zappelphilipp im Flieger zum nächsten Kongress und freue mich auf das außerordentlich patientenorientierte Programm – und darauf, lautstark und aktiv daran teilzunehmen!

EASD Diabetes Advocates

In guter Gesellschaft von fantastischen Patientenvertretern aus aller Welt!

Disclaimer: Meine Reise- und Übernachtungskosten wurden freundlicherweise von Roche Diagnostics Care Deutschland GmbH getragen. Ihr lest wie immer meine eigene Meinung in meinen eigenen Worten. 

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