Lang, lang war es still auf diesem Blog — das hatte verschiedene Gründe. Aber darum soll es heute nicht gehen, denn heute wird einfach nur gefeiert: Seit über 10 Jahren verändert die #LanguageMatters Bewegung die Art, wie wir (wir in der Community, wir in den Medien, wir in der Wissenschaft und Forschung, wir in der Medizin und ganz allgemein wir in der Gesellschaft) über Diabetes sprechen. Mittlerweile findet diese wichtige Debatte endlich auch hier im deutschsprachigen Raum statt und seit heute gibt es nun auch ein gemeinsames Positionspapier von DDG, diabetesDE und #dedoc°.
Und so sitze ich hier frühmorgens auf meinem Sofa und stoße mit meiner Vitaminbrause auf die gesamte Diabetes-Community und insbesondere die #LanguageMatters Bewegung an, bevor das Papier heute Vormittag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz präsentiert wird. Endlich!
Warum ich endlich sage? Als ich 2015 meinen Blog startete, war Sprache eines der ersten Themen, mit denen ich mich auseinandersetzte. Damals noch eher diffus, ich hing mich zum Beispiel an einzelnen Worten auf. Über die Jahre lernte ich viel über die größere, strukturelle Rolle, die Sprache in unserer Gesellschaft spielt. Darüber, wie sie Realitäten prägt und verstetigt. Ich hielt Vorträge und Workshops zu diesem Thema, sprach mit anderen Menschen mit Diabetes, mit Medienschaffenden und mit medizinischem Fachpersonal. Auf dem Weg lernte ich so viel — aber vor allem von anderen Menschen mit Diabetes hier aus der Community. Allen voran muss ich mich bei Renza aus Australien (www.diabetogenic.blog) bedanken, aber auch hierzulande standen Menschen wie Tine (www.icaneateverything.com) schon früh leidenschaftlich für dieses Thema ein, setzten es immer wieder auf die Agenda und teilten ihr Wissen.
All dieses Wissen aus den vergangenen Jahren ist nun in ein Positionspapier geflossen, geschrieben von Menschen aus der Community wie mir, von medizinischem Fachpersonal, von Medienschaffenden und noch vielen anderen. Ein Jahr lang harte Arbeit, viele verschiedene Perspektiven und am Ende ein Papier, dass sicherlich nicht perfekt oder vollständig ist, aber dennoch ein riesiger Schritt, auf den ich stolz bin.
Doch warum ist eine sensible Sprache in Bezug auf Diabetes so essentiell?
„Die Art und Weise, wie die Sprache über Diabetes in Wort und Schrift benutzt wird, spiegelt die Gedanken, Überzeugungen und Verhaltensweisen von Menschen wider und prägt sie. Die im Zusammenhang mit Diabetes verwendete Sprache hat die Macht, Überzeugungen und Stereotypen über den Diabetes zu prägen, wie auch diese zu verändern. Denn unsere Sprache reflektiert nicht nur die Realität von Menschen, sondern schafft sie. Sie zeigt mitunter vereinfachte und veraltete Denkmuster und Stereotype auf, die auf weit verbreiteten Fehlinformationen aufbauen und von wenig Empathie für Menschen mit Diabetes zeugen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Menschen mit Diabetes von Belastungen durch gesellschaftliche Stigmatisierung berichten.“
„Ob beabsichtigt oder nicht – unsere durch Sprache vermittelten Botschaften haben Folgen. Der Sprachgebrauch kann einen tiefgreifenden Einfluss darauf haben, wie Menschen mit Diabetes in der Gesellschaft gesehen, diskutiert und behandelt werden – und wie jemand den eigenen Diabetes wahrnimmt und sich im Alltag damit fühlt oder wie Diabetes im Gesundheitswesen vom Fachpersonal behandelt wird.“
Sprache und Diabetes. #LanguageMatters
Ein Positionspapier von DDG, diabetesDE und #dedoc° für den deutschsprachigen Raum
Richtig, ich zitiere hier aus unserem eigenen Werk (Hurra!). Aber um all das noch etwas greifbarer zu machen: Hier geht es sowohl um die emotionale als auch körperliche Gesundheit der Menschen mit Diabetes. Menschen mit Diabetes sind bereits stark belastet: Denkt mal an die mehr als 40 Faktoren, die unseren Blutzucker beeinflussen, an die rund 180 Therapie-Entscheidungen, die wir täglich treffen, an die vielen Begleit- und Folgeerkrankungen, auf die wir uns möglicherweise vorbereiten müssen. Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Depressionen, sowie Angst- und Essstörungen. Kurz gefasst: Wir haben oftmals eine im Vergleich zur Gesamtbevölkerung geringere Lebensqualität. Wenn stigmatisierende Sprache dann Menschen mit Diabetes zusätzlich belastet, kann dies die sowohl die mentale Gesundheit als auch die knallharten klinischen Outcomes ihrer Diabetestherapie deutlich beeinflussen. Deshalb geht es hier eben nicht einfach um politische Korrektheit, darum „nett“ zu sein oder auf einen trendigen Zug aufzuspringen. Es geht um einen grundlegenden Respekt vor und um die Gesundheit eines großen Teils unserer Bevölkerung.
Deshalb feiere ich heute dieses Papier und all die Menschen und Institutionen, die daran beteiligt waren. Wenn ihr durch die knapp 50 Seiten scrollt, werden euch sicherlich ein paar Gesichter bekannt vor kommen. Besonders glücklich macht es mich, dass das Paper von DDG, diabetesDE und #dedoc° gemeinsam erarbeitet und veröffentlicht wurde. Mit vereinten Kräften für eine richtige, wichtige Sache!
Ihr seid neugierig geworden? Dann schaut euch das Paper direkt auf www.languagemattersdiabetes.de an — oder werft einen Blick auf www.languagemattersdiabetes.com, wo auch alle anderen internationalen Positionspapiere gelistet sind. Tragt das Dokument in die Welt hinaus, schickt es an Freund*innen und Bekannte, erzählt in eurer Praxis davon und reicht es an Medienschaffende weiter. Nur gemeinsam können wir wirklich flächendeckend für #LanguageMatters sensibilisieren.
* Disclaimer: #dedoc° ist mittlerweile mein Arbeitgeber. Meine Mitarbeit am Positionspapier war teilweise beruflich und teilweise ehrenamtlich.